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Gespräch Michael Ley und Leander Kaiser

Wien, 2004
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LK: Die Kunst hat nicht den Auftrag, eine Totalveränderung der Wirklichkeit zu fordern oder zu fördern, sondern, innerhalb dieser Wirklichkeit zu wirken, etwas verständlich zu machen, auch zu erfreuen, durchaus zu belehren, den einzelnen Individuen etwas als Orientierungssystem und Medium der Selbstreflexion zur Verfügung zu stellen.

ML: Nun kann ja die Kunst nicht nur einfach zurückgehen. Man kann nicht mehr malen wie im 19. oder im 18. Jahrhundert. Wo müsste eine postavantgardistische Kunst ansetzen? Setzt sie bei der Renaissance an? Ist es eine neue Renaissance? Entwickelt sie so etwas wie eine neue Transzendenz? Könnte Kunst also gleichsam auch so etwas wie eine Ziviltheologie darstellen?

LK: Dem Künstler sind heute keine festen Formen der Einigung von Inhalt und Form vorgegeben, er schöpft aus seinem ganzen Repertoire und hat dazu noch das Repertoire, das die Malerei in ihrer Geschichte entwickelt hat, mehr oder weniger zur Verfügung. Wir dürfen dabei aber nicht übersehen, dass Malerei für uns nicht mehr Muttersprache ist. Wir müssen sie anders lernen als ein Renaissancekünstler, d.h. wir gehen mit einer ziemlich ungeschickten Voraussetzung an sie, was dann jedoch zum Bewusstseinsgewinn werden kann.
Die Mimesis im Sinne einer möglichst genauen Schilderung der Naturphänomene – dass die alte Malerei das gemacht habe, ist zwar nur sehr teilweise richtig – ist heute sicher obsolet; doch bleibt Mimesis weiter wesentlich für die Plausibilität für die Darstellung des Erscheinens, den Verweischarakter des Materials, aber das Bild steht nicht mehr in der Relation von Abbild und Wirklichkeit, sondern es steht im Verhältnis von Vorstellung und Anschauung, von Hypothese und Sachverhalt, in Beziehung zum Bewußtseinsprozess des Betrachters. Malerei wird zu einem Ort, an dem der Prozess zwischen Erinnerung, Anschauung, Vorstellung, Gedächtnis vor sich gehen kann. Und von da her wird die Renaissance wieder interessant, nicht mehr als Schule der Naturtreue. Viele Bilder religiösen Inhalts waren aber schon in der Renaissance Orte einer individuellen religiösen Reflexion.

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