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Das Goldene und das Dunkle
Ein Versuch über den Bilderrahmen
aus: Leander Kaiser, Das Goldene und das Dunkle, 1988
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Zugleich hat diese vielfältige Gliederung des Rahmens die Funktion einer schrittweisen Umlenkung des natürlichen menschlichen Sehens in die abstrakte Räumlichkeit und Geometrie des Bildes. Denn das Gesichtsfeld des Menschen ist nun einmal nicht rechteckig, und seine Raumwahrnehmung gehorcht nicht den Gesetzen der Zentralperspektive. Außerdem sieht er mit zwei Augen. Der Effekt des Rahmens besteht darin, die Bewegung der Zone der größten Sehschärfe – der Bereich, in dem sich die Sehkegel beider Augen überlappen – in seine Grenzen zu bannen, bis das Bild selbst diese Aufgabe übernehmen kann. Nur in diesem Bereich sind wir ja zur genauen optischen Erfassung ruhender Gegenstände fähig.

Die konzentrierte Betrachtung einer ruhenden planen Fläche ist – von der Vorgeschichte der Menschheit her gesehen – etwas besonders Unnatürliches (denn wo gäbe es dergleichen in der Natur?). Und erst recht die Betrachtung einer Fläche, die Raum ist, eines Raumes, der Fläche ist. Die skulpturale Oberfläche des Rahmens kommt trotz aller kulturellen Gewöhnung an künstliche Flächen als Informationsträger den spontanen Sehmechanismen des Menschen mehr entgegen. Vor allem aus der Bewegung ist das Plastische leichter zu erfassen und erregt daher auch leichter die Aufmerksamkeit.

„Aura“ definiert Walter Benjamin „als einmalige Erscheinung einer Ferne so nah sie sein mag.“ Die Plastizität des Rahmens gehört zum taktilen Empfindungsraum des Rezipienten, in dem auch das nur visuelle Erfasste haptisch-körperliche Relevanz besitzt. Andrerseits legt sich der Rahmen zwischen den Betrachter und das Bild und entrückt es diesem Nahraum. Und das Bild hat allein schon durch den Rahmen die Bedeutung einmaliger, unwiederholbarer, von allen anderen Erscheinungen unterschiedener Erscheinung.

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