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Ecce Homo - Menschwerdung und moderner Antihumanismus
Referat im Rahmen der Innsbrucker Gespräche über Ästhetik 2007
Leander Kaiser, Wien, Oktober 2007

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Das moderne Bild von Jesus war schon vor dem Nationalsozialismus im Auseinanderfallen, einerseits in die historische Figur des Rabbi Jesus von Nazareth, andererseits in die Auffassung seines Wandelns, Handelns und Sprechens als zeitlose Symbolisierung von Glaubenswahrheiten. Im einen Fall entfernt sich Jesus gänzlich in die Vergangenheit, im anderen Fall löst sich die Person, die Individualität Jesu ins Metaphorische auf. Die Inkarnation als wirkliche Menschwerdung des Absoluten wird unfaßbar und damit verliert auch die Verinnerlichung der Glaubensinhalte, die Darstellung des Absoluten in menschlicher Gestalt ihre Grundlage und ihren Halt. Diese Tendenz ist noch weiter verstärkt worden durch die oben dargestellte religiöse Verwirrung und die damit oft verbundene Verleugnung der eigenen Verstricktheit in den Schuldzusammenhang der Geschichte. Der von Joseph Ratzinger so apostrophierte „Bildersturm“ in den Kirchen nach 1945, die Hinwendung zu karger Symolik und zur nichtchristlichen Spiritualität der Abstraktion, kann als Folge dieser Entwicklungen verstanden werden.

Die Negationsleistung dieser Kunst gegenüber dem Nationalsozialismus, gegenüber dem zerstörten Menschen- und Christusbild ist die Verleugnung des Übels. Sie entzieht die Beschädigung der Reflexion. Ihr Gegensatz zur offiziellen Ästhetik des Nationalsozialismus ist ein Ort der Bewußtlosigkeit.

Der Nutzen der abstrakten „Weltsprache der Kunst“ als Abgrenzung von der Unfreiheit des „sozialistischen Realismus“ ist historisch gesehen eher fraglich; aber Teilen der Eliten in Deutschland und Österreich hat das Ideologem immerhin erlaubt, sich „von allen Totalitarismen“ ästhetisch zu distanzieren, ohne sich mit dem eigenen Erbe, dem Nationalsozialismus, weiter auseinandersetzen zu müssen.

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