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Ecce Homo - Menschwerdung und moderner Antihumanismus
Referat im Rahmen der Innsbrucker Gespräche über Ästhetik 2007
Leander Kaiser, Wien, Oktober 2007

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In fast allen in Österreich und Deutschland nach 1945 erbauten Kirchen finden wir dasselbe menschenleere, ästhetische Inventar wie im Hintergrund der Folterszenen des Films von Pier Paolo Pasolini. Nur dass hier in aller Regel kunstgewerbliche Spielarten moderner Kunststile dominieren. Der christliche Symbolismus der Gegenwart bedient sich aus dem Fundus zur Provinzialität verkommener Avantgarden. Hinter dem stilisierten Kruzifix findet sich etwa eine abstrakte Wanddekoration zum Thema Lichtausgießung, die in aller Geistlosigkeit die Präsenz des Heiligen Geistes in der Kirche darstellen soll. Der Versuch der Anpassung der bildnerischen Vermittlung der christlichen Heilsbotschaft an den ästhetischen Zeitgeist hat, mit Joseph Ratzinger zu sprechen „zu neuem Ikonoklasmus geführt (…), der vielfach geradezu als Auftrag des II. Vatikanischen Konzils angesehen wurde. Der Bildersturm, dessen erste Anzeichen in Deutschland allerdings in die 1920er Jahre zurückreichen, hat manches Kitschige und Unwürdige beseite geschafft, aber zuletzt auch eine Leere hinterlassen, deren Armseligkeit wir inzwischen wieder recht deutlich empfinden.“ Soweit Benedikt XVI. in seiner Schrift „Der Geist der Liturgie“ aus dem Jahre 1999.

Ich möchte diese Aussage etwas radikalisieren. Der christliche Symbolismus der Gegenwart erzeugt ein Gefühl der Leere der Welt, eben das Grundgefühl einer häretischen Trauer, eines Sektierertums und eines Nihilismus, der der Heiterkeit frommer und atheistischer Weltbejahung entbehrt. Und das Mittel, das dieser Sinnentleerung steuern soll und in betrügerischer Unschuld der Geistesverirrung „Spiritualität“ genannt wird, ist selbst die Entgrenzung der christlichen Heilsbotschaft zu gnostisch-manichäischen, esoterischen und okkulten Heilslehren sowie zur Weltverneinung nichtchristlicher Religionen. Der kirchliche Kampf gegen den Modernismus, Liberalismus, atheistischen Humanismus und Materialismus, dessen Manifest gerade heuer den 100. Geburtstag feiert, führt am Ende in die bedenkenlose Umarmung einer Kunst, deren Kirchenväter samt und sonders Gnostiker, Anhänger der Theosophie und Antroposophie, Spiritisten, erklärte Verächter des größten Teils der empirisch existierenden Menschheit und begeisterte Anhänger der Idee des Übermenschen oder des „neuen Menschen“ der Bolschewiken waren.

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