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Ecce Homo - Menschwerdung und moderner Antihumanismus
Referat im Rahmen der Innsbrucker Gespräche über Ästhetik 2007
Leander Kaiser, Wien, Oktober 2007

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In seinem Film „Die 120 Tage von Sodom“ hat der große italienische Autor und Regisseur Pier Paolo Pasolini das Verhältnis der modernen Kunst zur Unmenschlichkeit des vergangenen Jahrhunderts thematisiert. Im Hintergrund der sexuellen Folter- und Mordszenen werden immer wieder Werke der klassischen Moderne, des Futurismus, Kubismus, der geometrischen Abstraktion und Wandmalereien im Stil des Art Deco gezeigt. Die Bilder sind menschenleer. Die Montage scheint auf die Gleichgültigkeit der Modernen Kunst gegenüber dem menschlichen Leid pointiert. Das Verschwinden des Menschen aus der Kunst entspricht bei Passolini der Unmenschlichkeit der faschistischen Sadisten. Es gibt kein Band der Empathie zwischen ihnen und dem Menschenmaterial, dass in ihre Gewalt geraten ist. Sie sind von anderer Art.

Hätten die Gefolterten Trost im Bild des Gekreuzigten gefunden? Die Erinnerung an die Leiden Jesu und der Märtyrer mahnt die Gleichheit aller Menschen in Schmerz, Leid und Tod ein; über die Erniederung auch des Höchsten, Absoluten in seiner Inkarnation kann sich keiner – auch kein Übermensch – erheben. Aber vergessen wir dabei nicht, dass der Inquisitor dem Inquisiten das Kruzifix vorgehalten hat – vor Beginn der peinlichen Befragung, das heißt der Tortur. Immerhin hat die christliche und romantische Kunst bis ins 20. Jahrhundert den Schmerz und das Leid gekannt. Und der Inquisitor hätte auf den Gefolterten hinweisen und mit Pontius Pilatus ausrufen können: „Ecce Homo – da der Mensch!“ Das 20. Jahrhundert hat diese Entzweiung durch die Nichtanerkennung des Menschseins der Opfer überboten.

Schon aus den Menschenmaterialschlachten des 1. Weltkrieges und ihrer Verhandlung durch die führenden Kräfte der Zeit war der Befund zu erheben, den Karl Kraus an den Schluss seiner „Letzen Tage der Menschheit“ gestellt hat: „Zerstört ist Gottes Ebenbild.“ Wenn aber der Mensch als Ebenbild Gottes zerstört ist, ist auch Christus als Ebenbild des Vaters nicht mehr fassbar, muss das Bild Gottes für den Christen großen Schaden genommen haben. Der „Schock der Moderne“ ist keine Folge der Entwicklung der Kunst. Es ist der Schock, den die Moderne erhalten hat durch die Zerstörung des Bildes des Menschen. Die negative Theologie der Kunst erscheint als Symptom und Apologie dieses Verlustes.

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