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Irrealität - Eine Realitätsebene im Handeln und in der Kunst
Referat im Rahmen der Innsbrucker Gespräche über Ästhetik 2011
Leander Kaiser, Wien, September / Oktober 2011
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Giorgio De Chirico,

Giorgio De Chirico,
Geheimnis und Melancholie einer Straße, 1914

Die Schatten, die die bereits tiefstehende Sonne wirft, eigentlich das dramatische Moment der Komposition, schaffen eine weitere Beklemmung, lassen eine Bedrohung ahnen. Es ist nicht entscheidbar, ob eine Katastrophe schon stattgefunden hat oder gerade erst bevorsteht, eine Katastrophe, die diese Städte in die Leblosigkeit und aus der geschichtlichen Entwicklung herausgeschleudert hat, oder eine Katastrophe, mit der die Geschichte wieder in diese zeitlose Irrealität einbrechen wird.

Wir können die Bilder als symptomatisch für die Zeit, in der sie entstanden sind, lesen. Was Europa mit dem Ersten Weltkrieg und den darauf folgenden Revolutionen, weiterem Krieg und Völkermord in dem "kurzen 20. Jahrhundert" von 1914 bis zum Ende der 80er Jahre bevorstand, entzog sich, obwohl die Kriege systematisch vorbereitet und der Völkermord schon propagiert wurde, der Vorstellungsfähigkeit der Zeitgenossen. Keiner, hätte man es ihm auch als Möglichkeit vorausgesagt, würde dem künftigen realen Geschichtsverlauf die geringste Wahrscheinlichkeit zugebilligt haben. Die rätselhafte Stimmung, ich würde eben eher sagen: irreale Stimmung der Stadtbilder De Chiricos stellt sich so dar als dieses Unwissen der Zeit über sich selbst, als Unmöglichkeit, sich historisch zu verorten.

Der spätere De Chirico hat in seinem Bemühen, die gute italienische Malerei des 18. und 19. Jahrhunderts wiederzubeleben, niemals weder die Sicherheit der Zeichnung noch den Glanz des Kolorits seiner frühen Werke erreicht.

 
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