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Irrealität - Eine Realitätsebene im Handeln und in der Kunst
Referat im Rahmen der Innsbrucker Gespräche über Ästhetik 2011
Leander Kaiser, Wien, September / Oktober 2011
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Giorgio De Chirico,

Giorgio De Chirico,
Das Lied der Liebe, 1914

Für die Stimmung eines ewigen Spätsommer- Sonntags-Spätnachmittags hat De Chirico eine brillante Chromatik gefunden, die mit der Künstlichkeit der schematischen Zeichnung zu überklarer Klarheit zusammengeht. Diese Klarheit ist es, die bei De Chirico das Gefühl der Irrealität hervorruft, selbst heute noch, wo wir uns längst an Unwahrscheinlichkeiten und Brüche in der Größen- und Raumdarstellung gewöhnt haben. De Chiricos Irrealismus unterscheidet sich vom Fantastischen, den Gegen- und Überwirklichkeiten, die davor und danach in der Kunst stattgefunden haben. In den Titeln der Bildern kommt oft das Wort enigma (Geheimnis) vor, aber es gibt auf ihnen eigentlich nichts zu entschlüsseln. Es ist höchstens die Atmosphäre, die man rätselhaft nennen kann. Das gegenständliche Inventar ist bekannt und leicht wiederzuerkennen. Alles liegt klar und deutlich zu Tage. Seine Bilder aus dieser Zeit haben für mich etwas von handkolorierten Postkarten aus Orten, die es nicht gibt, die uns aber irgendwie immer auch an bekannte Orte gemahnen. Die Dinge sind da, aber unter Abzug ihrer realen Präsenz, wie in einem Traum, doch träumen wir niemals so modellhaft klar, und es fehlt auch die Verwicklung des träumenden Ichs in seinen Traum.

Die Straßen und Plätze sind fast immer menschenleer, die Bewohner seiner Städte scheinen mit wenigen Ausnahmen nie mehr aus ihren Häusern zu kommen, in denen sie eine endlose Siesta halten. Die Irrealität dieser Stadtlandschaften hat etwas Unentrinnbares, das an Piranesis Carceri D'Invenzione erinnert.

 
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