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Eine ästhetische Religion? Schönberg und der moderne Irrationalismus
Referat beim Symposion Schönberg und sein Gott im Arnold Schönberg Center Wien
Leander Kaiser, Wien, Juni 2002
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Für Kandinsky wie für Schönberg ist die Musik die paradigmatische Kunstform, die allen anderen Künsten und v. a. der Malerei das Vorbild gibt. Daß die Musik das künstlerische Medium sei, in dem sich die christlich-germanische Innerlichkeit auf die ihr am meisten gemäße Weise ausspricht und mitteilt, ist eine Idee der deutschen Frühromantik. Diese Idee findet ihre irrationalistische Weiterführung und Übersteigerung bei Schopenhauer und Wagner, worauf ich noch zurückkommen werde. Dazu kommt eine Spielart des Kantianismus, der Herbartismus, dessen mehr formalistische Begründung der Vorbildlichkeit der Musik für Kandinsky maßgeblicher war als für Schönberg. Doch auch der Herbartismus teilt den antimaterialistischen, gegen alles Interesse und Begehren gerichteten Affekt der deutschen Musikreligion.

Bei Kandinsky wird die Musik und die nach ihrem Vorbild entwickelte "reine Malerei" als eine Art gnostischer Schwingungsgenerator verstanden, durch den die Seele in feinere Vibrationen versetzt, aus dem Stofflichen herausgehoben und mit dem inmateriellen Geist vereinigt werden soll. Aus der "Botschaft des Geistes an den Geist" wird hier ein Mechanismus, der am individuellen Bewußtsein des Rezipienten vorbei seine determinierende Wirkung entfaltet. Das ist eine Selbstermächtigung des Künstlers als Heilsbringer, die durchaus eine Parallele zum Selbstverständnis totalitärer politischer Führer darstellt. (4)

Schönberg, der uns viel offener als Kandinsky in der Rolle eines Verkünders religiöser Wahrheiten entgegentritt, gibt dagegen in seiner Vorstellung vom musikalischen Raum ein zwar stark mystisch gefärbtes, dennoch im Grunde zutreffendes Bild für den psychischen Nachvollzug des musikalischen Geschehens. Seine spätere Forderung der "Faßlichkeit" des Tons in der Tonfolge respektiert die kognitiven Möglichkeiten des rezipierenden Bewußtseins. (5)

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